Leseprobe

RAIDASE bAND 3 - Sky & Amber


Sky

 

... 15 Monate zuvor ...

 

»Alter, du bist echt nicht zu ertragen«, motze ich Aiden genervt an. Seit einer Stunde läuft er neben mir her und zieht ein Gesicht, als hätte ihm jemand in den Magen geboxt.

»Was erwartest du? Ich habe keinen Bock auf den Mist hier«, motzt er zurück.

Okay, ich verstehe ihn ja, aber er ist an der Situation selbst schuld. Ich liebe diesen Kerl, doch gerade würde ich ihn wirklich gerne in den Hintern treten oder ihn tatsächlich in den Magen boxen, dann hat er wenigstens einen Grund, so zu gucken. 

Ich zupfe an meiner pinken Zuckerwatte und beobachte das bunte Treiben auf dem Campusfest. Diese kitschige Rummelplatzatmosphäre ist genau mein Ding. Aiden findet es albern, aber ich mag die vielen bunten Stände, die ausgelassene Stimmung und das Gefühl, wieder sieben Jahre alt zu sein. Nicht, dass ich als Kind in den Genuss eines Jahrmarktbesuches gekommen wäre. Das einzig Bunte in meinem Leben waren die blauen Flecken an meinen Armen gewesen.

Das Highlight in diesem Jahr ist der Kussstand und genau den steuere ich jetzt an. Ich bin tatsächlich etwas beleidigt, dass man uns nicht gefragt hat, ob wir für den guten Zweck zur Verfügung stehen. Also, ich hätte mich wirklich gerne für das allgemeine Wohlbefinden der Damenwelt geopfert.

Schon von Weitem sehe ich die Menge, die vor dem Kussstand steht. Hauptsächlich Kerle. Mein Blick wandert zu der kleinen Bühne und ich muss schmunzeln, denn Hailey steht da oben und verteilt Küsse. »Ach! Sieh mal einer an, jetzt wird's interessant«, sage ich und sehe zu Aiden, der sie noch nicht entdeckt hat. Der Kerl ist so verknallt, dass es schon fast so süß ist wie die Zuckerwatte in meiner Hand.

Nicht so süß ist allerdings, dass Amber ebenfalls da oben steht und feuchtfröhlich herumknutscht. Ob Jase davon weiß? Mit Sicherheit, und er lässt es ihr durchgehen. Schließlich ist es für einen guten Zweck. Der Typ ist so perfekt, dass einem schlecht wird und zufällig mein bester Freund. Wir könnten nicht gegensätzlicher sein. In jeglicher Hinsicht. Es gibt genau zwei Dinge, die wir gemeinsam haben. Die Liebe zur Musik und die Schwäche für Amber Scott. Bei ihr unterscheidet uns allerdings die Tatsache, dass er mit ihr zusammen ist und ich nicht. Die beiden passen perfekt zueinander, auch wenn ich das nicht gerne zugebe und ich inzwischen das Gefühl habe, dass sie für Jase nichts Besonderes ist. Hailey ist es für Aiden. Das wusste ich in dem Augenblick, als er von der Bühne gestürmt und ihr nachgelaufen ist. Bis zu diesem Moment hätte ich geschworen, dass es nichts auf dieser Welt gibt, was ihn von einer Bühne holen kann. Und dann stand Hailey einfach da, in einem sonnengelben Kleid, und plötzlich war sie sein Licht in der Dunkelheit. Bei Jase habe ich so etwas nie gesehen, aber er ist auch niemand, der gerettet werden muss. Ich will gar nicht infrage stellen, dass er sie liebt, aber vielleicht tut er es nicht genug. Denn wenn es so wäre, würde sie niemals da oben stehen. Ich würde es nicht zulassen. Selbst dann nicht, wenn mich der verdammte Papst darum bittet.

Aiden schnaubt neben mir und lenkt mich damit von Amber ab. Wenn ich er wäre und mein Mädchen da oben stehen würde, wäre ich schon längst auf die Bühne gestürmt. »Ich stelle mich auch an«, sage ich, um ihn etwas aufzustacheln.

Er springt sofort darauf an, packt mich an der Schulter und zieht mich zurück. »Verpiss dich, Sky!«, schnauzt er und geht an der Schlange vorbei, um sich endlich Hailey zu holen.

Ich lache laut und kassiere dafür einen Mittelfinger von ihm. »Okay, dann stelle ich mich bei Amber an. Sie soll eine Granate sein«, rufe ich ihm hinterher, ohne wirklich darüber nachgedacht zu haben. Ein paar Typen vor mir drehen sich um und mustern mich neugierig. »Was?«, frage ich, als sie keine Anstalten machen, sich wieder umzudrehen.

»Du bist Sky Montgomery«, sagt einer von ihnen. Ich setze ein Grinsen auf. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Hailey von der Bühne stürmt und Aiden ihr hinterher.

»Ja, live und in Farbe«, wende ich mich wieder den Jungs vor mir zu, die stark nach erstem Semester aussehen. Eigentlich bin ich immer für eine Runde Smalltalk zu haben, aber meine Aufmerksamkeit gilt schon wieder Amber, die gerade einen weiteren Kerl küsst. Die Schlange scheint nicht kürzer zu werden, aber ich kann es verstehen. Amber ist ein Magnet mit ihrem blassroten Haar, den grünen Augen und einem Temperament, das Leidenschaft verspricht. Sie ist wie eine Sirene. Wenn sie einen Raum betritt, spürst du es, und wenn du sie dann ansiehst, bist du verloren. »Hier! Halt das mal«, sage ich und drücke ihm meine Zuckerwatte in die Hand.

»Klar, gern.«

Ich klopfe ihm auf die Schulter und gehe, genau wie Aiden, an der Schlange vorbei. Ein leises Raunen geht durch die Menge, als ich die Bühne betrete.

»Was soll das werden, Sky?«, fragt Amber, die plötzlich nicht mehr ganz so happy aussieht und mich anstarrt, als wäre ich eine Art Erscheinung.

Mein Vorsatz war es gewesen, sie zu fragen, ob Jase weiß, was sie hier macht. Auch wenn ich die Antwort kenne. Doch jetzt, wo sie hier vor mir steht, merke ich, dass ich aus einem ganz anderen Grund hier oben stehe und warum ich ihr für gewöhnlich aus dem Weg gehe. 

Mist! Los, sag etwas Witziges.

»Ich investiere in den guten Zweck.« Okay, das war nicht mal ansatzweise witzig, dennoch ziehe ich einen Schein aus der Tasche und halte ihn ihr entgegen.

»Findest du das vielleicht irgendwie lustig?«, zischt sie, charmant wie immer, jedenfalls was mich betrifft. Ich kann mir nicht erklären, warum sie mich immer anzickt und alle anderen nicht. Da ist sie der reinste Sonnenschein.

»Nein, eigentlich nicht. Du etwa?«, grinse ich, weil ich weiß, dass es Amber auf die Palme bringt und keine Ahnung habe, wie ich sonst aus der Nummer herauskommen soll.

Sie entreißt mir die zehn Dollar und stopft sie in das Glas. »Hör auf mit dem Quatsch und mach dich lieber nützlich.« Sie deutet auf die Stelle, an der bis vor wenigen Minuten noch Hailey gestanden hat.

Ich soll wohl ihren Platz einnehmen. »Dafür schuldest du mir etwas, Sweetheart«, stelle ich klar, dass meine Dienste nicht umsonst sind. Sie verzieht das Gesicht und winkt den nächsten Kerl heran.

Bei Amber kann ich einfach nicht punkten. Bei der hübschen Brünetten, die plötzlich zwei Dollar in das Glas steckt und auf mich zuläuft, schon eher. »Also dann, Süße. Für die nächsten zehn Sekunden gehöre ich ganz dir.« Sie kichert leise und ich ersticke diesen nervigen Ton mit einem unschuldigen Kuss.

»Danke«, sagt die Brünette, bevor sie von der Bühne geht.

Amber starrt mich eigenartig von der Seite an. Als Reaktion darauf hebe ich fragend eine Augenbraue, doch sie sieht sofort weg. Vor der Bühne hat sich inzwischen eine beachtliche Menge an Frauen angesammelt und mir dämmert allmählich, warum man uns nicht gefragt hat. Wenn Aiden hier stehen würde, gäbe es wahrscheinlich eine Massenpanik auf dem Campus.

Die nächsten zwanzig Minuten verbringe ich damit, meine Lippen auf die Münder mir völlig fremder Frauen zu drücken und wenigstens so zu tun, als hätte ich Spaß daran. Aber wenn ich ehrlich bin, habe ich mir das irgendwie amüsanter vorgestellt und bin froh, als es vorbei ist.

Amber geht ohne ein Wort von der Bühne und verschwindet in der Menge. Kurzentschlossen folge ich ihr. Knapp ein Jahr lang lasse ich es nun schon über mich ergehen, dass sie mich behandelt, als wäre ich eine ansteckende Krankheit, ohne je eine Erklärung dafür erhalten zu haben. Auf Dauer ist das ziemlich nervig. Ich mag es, wenn die Dinge harmonisch verlaufen und die Sache mit Amber ist anstrengend, vor allem für Jase, der immer zwischen den Stühlen sitzt. Wenn Amber in unsere WG kommt, suche ich das Weite und wenn nicht, dann tut sie es. Dieses seltsame Verhältnis zwischen uns wird früher oder später auch zu Spannungen zwischen Jase und mir führen und das ist das Letzte, was ich will. Es muss doch möglich sein, auf eine freundliche Art und Weise, Distanz halten zu können. Wir müssen ja nicht gleich beste Freunde werden.

Amber biegt nach links und verschwindet zwischen zwei Ständen. Ich beschleunige den Schritt, um sie nicht aus den Augen zu verlieren.

Plötzlich bleibt sie stehen und dreht sich zu mir um. »Verfolgst du mich etwa?«

Wenn ich jetzt behaupte, dass ich ebenfalls in diese Richtung muss, wird sie mir das niemals glauben. Ich mache noch ein paar Schritte auf sie zu. »Natürlich, du hast mir zehn Dollar abgenommen und bekommen habe ich dafür von dir nichts«, versuche ich sie zu necken und das Ganze etwas aufzulockern. Bevor wir zu den ernsteren Themen kommen, von denen ich mir gerade nicht sicher bin, ob ich sie wirklich ansprechen möchte. Könnte ich es überhaupt ertragen, wenn wir uns näherstehen würden? Oder sie plötzlich nett zu mir ist und mich anlächelt? Was ich hier vorhabe, ist masochistisch.

»Das meinst du doch nicht ernst?!« Ein leicht schriller Ton schwingt in ihrer Stimme mit, den ich nicht einordnen kann. Er zwingt mich aber dazu, diese Herausforderung anzunehmen.

Die Sirene singt.

»Und was, wenn doch?« Langsam gehe ich zwei weitere Schritte auf sie zu. Amber sieht mich vorsichtig und zugleich neugierig an. Sky Montgomery, das ist wirklich eine beschissene Idee. Du spielst mit dem Feuer! – mahnt mich die Stimme in meinem Kopf, die mich im Augenblick wirklich einmal kreuzweise kann. Ihr Blick folgt meinen Bewegungen, als ich direkt vor ihr stehe, sieht sie zu mir auf. »Vergessen wir doch nur für einen Augenblick, dass du mich nicht ausstehen kannst, und schauen einfach, was passiert«, schlage ich vor.

Amber reißt überrascht die Augen auf, weicht aber nicht zurück. Ich greife nach einer ihrer roten Strähnen, lasse sie durch meine Finger gleiten und streife dabei ihre Wange.

Weich. Seidig. Schön.

Sie greift nach meiner Hand und ich halte in der Bewegung inne. Bisher haben wir uns nur ein einziges Mal berührt und das ist eine Ewigkeit her. Aber gerade habe ich das Gefühl, es war erst gestern. Keiner von uns zieht die Hand zurück. Wir stehen einfach nur da und starren einander an. Unsicher, was hier vor sich geht.

»Sky, nicht«, sagt sie leise.

Sollte das ein ernstgemeinter Protest sein, ist er nicht sehr überzeugend. Du spielst nicht mit dem Feuer, du entfachst einen verdammten Vulkan! – mischt sich erneut die Stimme in meinem Kopf ein. Entgegen ihrer Worte schmiegt sie ihre Wange in meine Hand und ich nehme ihre Einladung an, schiebe meine Finger weiter in Richtung ihres Nackens und schließe die Lücke zwischen uns. Ihre noch freie Hand legt sich auf meine Brust und ihre Fingerspitzen wandern über das nackte Stück Haut und malen die Linien nach, die nicht von Stoff bedeckt sind.

»Wir sollten das wirklich nicht tun«, flüstert sie. Ihre Stimme zittert leicht.

Ich lehne meine Stirn gegen ihre. »Ich weiß, aber ich habe dich zuerst gesehen.«

Amber verändert leicht ihre Position, sodass ihr Mund nun dicht vor meinem schwebt. Ich bin gerade ernsthaft im Begriff, alles in die Tonne zu treten, was mir heilig ist. Meine Prinzipien landen, eine nach der anderen, in dem Vulkan, den ich heraufbeschworen habe. Und wenn ich mir selbst einen Gefallen tun möchte, springe ich freiwillig hinterher.

Ich habe sie zuerst gesehen, nicht er.

Meine Lippen streifen ihre. Vorsichtig, unschuldig, kaum spürbar und doch intensiv genug, um zu bemerken, was hier gerade geschieht.

Ich küsse Amber Scott.

Die Freundin meines besten Freundes und nichts auf dieser Welt hat sich je so gut und falsch zugleich angefühlt.

 

Amber

 

... heute ...

 

»Okay, meinst du nicht auch, es wird langsam wieder Zeit, in den Sattel zu steigen?«, fragt Grace, die gerade das Café fegt. Ich werfe ihr einen warnenden Blick zu. »Ich meine ja nur. Wie lange ist das mit Jase jetzt her?«, hakt sie nach. 

»Nicht lange genug.« 

Die Tür vom Gracie's schwingt auf und James kommt herein. »Na, seid ihr fertig? Ed wartet sicher schon«, fragt er und zieht Grace in seine Arme.

Schon erstaunlich, was für eine Entwicklung dieser mürrische Kerl genommen hat. Für Grace würde er einfach alles tun. Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich die beiden neidisch beäuge, weil sie das haben, was mir fehlt. Jase hat eine Lücke hinterlassen, die sich nicht mit ein paar Verabredungen wieder füllen lässt. Ich will auch gar keine Dates, jedenfalls nicht mit irgendeinem Kerl, der mir im Café schöne Augen macht. Wie aufs Stichwort kommt Sky zur Tür herein. Der Kerl mit den schönsten Augen überhaupt. Himmelblau und umrahmt von dunklen Wimpern, die jeden sofort in ihren Bann ziehen.

»Hey«, sagt er knapp und geht an mir vorbei. Grace drückt ihm einen freundschaftlichen Kuss auf die Wange und er grinst sie verschmitzt an. »Hast du noch Cupcakes übrig? Vielleicht die mit Karamell?«, fragt er sie.

Ich könnte eine Schachtel nehmen und ihm welche einpacken, aber Sky geht mir so konsequent aus dem Weg, dass ich befürchte, er würde sie ablehnen, nur weil ich sie ihm gebe.

Grace sieht in meine Richtung und ich verziehe mich in den hinteren Bereich, wo sich das Büro befindet. »Ich gehe die Abrechnung machen«, rufe ich ihr noch fix zu und schließe die Tür hinter mir. Auf dem Schreibtisch stapelt sich allmählich der Papierkram. Das Café läuft so gut, dass ich kaum Zeit dafür habe, alles abzuheften.

Seufzend lehne ich mich in meinem Stuhl zurück und frage mich, ob ich mir mein Leben mit Mitte zwanzig wirklich so vorgestellt habe.

Wahrscheinlich nicht.

Ich liebe das Gracie's und arbeite gerne hier, aber nach Jase' Tod hatte ich vorgehabt, die Stadt hinter mir zu lassen. Irgendwo neu anzufangen, ohne die ständige Frage in meinem Kopf – was wäre, wenn ...?

Es ist egal, denn 'was wäre wenn' ändert die Tatsache nicht, dass die Dinge so sind, wie sie sind. Jase ist nicht mehr da und Sky meidet mich, als wäre ich die Pest. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht, was von beidem mir mehr zusetzt. Sky und ich waren nie das, was ich als Freunde bezeichnen würde, aber seit Jase' Tod schaut er mich an, als sei es meine Schuld gewesen.

Grace öffnet die Tür und sieht mich besorgt an. »Bist du sicher, dass du nicht mitkommen möchtest?«

Normalerweise bin ich immer für einen Besuch bei Ed zu haben, aber noch ein paar Tage und wir ersticken im Papierchaos. Grace ist eine fantastische Bäckerin und die Gäste lieben sie, doch von Betriebswirtschaft hat sie keinen Schimmer. Diese Aufgabe bleibt an mir hängen und sie macht sich leider nicht von alleine. »Siehst du diesen Stapel? Ich muss mich wirklich um unsere Ablage kümmern. Das nächste Mal bin ich wieder dabei.«

»Das hast du letzte Woche auch schon gesagt.«

Ja, und die Woche davor auch.

»Amber, du kannst ihm nicht ewig aus dem Weg gehen«, sagt sie und schneidet damit ihr Lieblingsthema an.

Sky Montgomery.

»Ich gehe ihm nicht aus dem Weg«, stelle ich klar. Sky hat damit angefangen. Er hat mich geküsst und dann so getan, als wäre es nie passiert.

»Doch, tust du! Sobald Sky auftaucht, machst du dich aus dem Staub und andersherum ist es genauso. Vielleicht solltet ihr das zwischen euch endlich aus der Welt schaffen.«

Ich weiß, dass sie recht hat, und ich habe es mehr als einmal wirklich vorgehabt, aber ich weiß einfach nicht, was ich ihm sagen soll. Das Ganze ist fünfzehn Monate her und seitdem ist eine Menge passiert. Manchmal sollte man die Dinge einfach ruhen lassen. Man weiß nie, was man sonst noch ausgräbt.

Grace steht ungeduldig im Türrahmen. Sie wird nicht lockerlassen. Sky ist ihr bester Freund und ich bin ihre Freundin. Nüchtern betrachtet hat sie nun den Platz von Jase eingenommen, der auch immer zwischen den Stühlen gesessen hat, wenn es um Sky und mich ging.

»Gibst du Ruhe, wenn ich mitkomme?«, frage ich und schiebe den Papierstapel zur Seite.

Sie grinst zufrieden. »Ja.«

__________

 

Wir sitzen in der Lounge, die sich am Rand neben der Bar befindet. Abseits vom Partyvolk. Inzwischen ist es nämlich nicht mehr so einfach für die Jungs, irgendwo einen entspannten Abend zu verbringen. Die Band hat mittlerweile ihr zweites Album auf den Markt gebracht und es ist ein voller Erfolg gewesen. An die Wachhunde, die sie ständig im Schlepptau haben, gewöhnt man sich. An die Frauen, die hysterisch ihre Namen rufen, eher weniger.

Gedankenverloren fahre ich mit dem Zeigefinger über den Rand meines Glases. »Wenn du willst, dass es singt, musst du schon schneller reiben.« Erschrocken sehe ich zu Caleb auf, der plötzlich neben mir sitzt. Wohin ist Grace denn verschwunden, sie saß doch gerade noch hier.

Ich nehme den Finger vom Glas. »Wie bitte?«, frage ich ihn, weil ich nicht zugehört habe.

Caleb zieht das Weinglas zu sich heran. »Du musst es zum Schwingen bringen, damit es für dich singt«, sagt er und steckt sich einen Finger in den Mund, um ihn anzufeuchten, bevor er damit über den Rand des Glases fährt. Ich bin mir nicht sicher, ob er mit mir flirtet oder einfach nur nett sein möchte. »Das nennt man Stick-Slip-Effekt«, grinst er.

»Wow, du bist ein Genie«, grinse ich zurück. Natürlich weiß ich, wie man ein Weinglas zum Schwingen bringt. Als Kinder haben wir das ständig gemacht.

»Verrätst du mir, warum du so ein Gesicht ziehst?«, fragt er und stupst mich mit seiner Schulter an.

»Ich ziehe kein Gesicht. Mir ist heute einfach nicht nach Party.«

Caleb mustert mich von der Seite. »Kann ich dich irgendwie aufheitern?«

»Du könntest aufhören zu quatschen«, ziehe ich ihn auf.

Er legt sich eine Hand aufs Herz. »Das war hart. Normalerweise mögen es Frauen, wenn ich sie anquatsche.«

Daran habe ich keinerlei Zweifel. Caleb ist mehr als attraktiv. Groß, sportlich, dunkelbraune Haare und tiefgründige braungrüne Augen. Eine Kombination, die Frauen reihenweise die Höschen feucht werden lässt. Und das weiß er nur zu gut.

»Dann solltest du vielleicht dein Glück bei einer von denen versuchen«, schlage ich ihm vor.

Er rückt etwas näher an mich heran und beugt sich mir entgegen. »Wenn du es dir anders überlegst, findest du mich in der tobenden Menge«, sagt er, streicht mir eine lose Strähne hinters Ohr und nickt in Richtung Tanzfläche.

Ich starre ihm nach, bis er in der Menge verschwindet. Was zur Hölle sollte das werden?

»Was war das denn?«, fragt Grace, die sich in diesem Augenblick wieder auf ihren Platz setzt.

»Genau das habe ich mich auch gefragt«, antworte ich. Mein Blick huscht nach rechts. Sky steht an der Bar und lacht über etwas, das Cole gesagt hat.

»Wo ist James?«, frage ich Grace, weil ich ihn nicht bei den anderen entdecke.

»Telefonieren«, antwortet sie knapp. Das hätte ich mir denken können. Er hängt ständig an seinem Smartphone.

»Und, steht Caleb nun auf dich?«

»Was? Natürlich nicht. Du weißt doch, wie er ist.« Er steht mit Sicherheit nicht auf mich. Caleb ist ein Player. Er flirtet gerne, aber ernsthaftes Interesse ist für ihn wahrscheinlich ein Fremdwort. 

»Also, ich würde ihn nicht von der Bettkante schubsen«, gesteht Grace.

»Na, lass das bloß nicht James hören. Er wirft ihn sonst hochkant aus der Band.«

Grace lacht und ich falle in ihr Lachen mit ein. Wir nehmen unsere Gläser und stoßen an. Als Aiden mit Hailey den Pub betritt, ist es, als würde Moses das Wasser teilen. Die Menge macht ihm ohne zu zögern Platz. Er gibt ein paar Autogramme und lächelt freundlich. Hailey lässt er dabei keinen Augenblick los. Als ich Aiden kennengelernt habe, hätte ich nie gedacht, dass er sich jemals fest binden würde. Wenn ich an die vielen Male denke, als er sich aus einem der Zimmer im Mädchenwohnheim geschlichen oder in meinem Zimmer seinen Rausch ausgeschlafen hat. Aber ich habe immer gehofft, dass er die Kurve bekommt und ein Zuhause findet. Dass Aiden sich ausgerechnet in Hailey verliebt hat, überrascht mich nicht. Wäre ich ein Kerl, hätte ich mich auch in sie verguckt. Sie ist süß, liebevoll und vor allem geduldig, wenn Aiden mal wieder in eine seiner Phasen abrutscht und in seiner eigenen Welt versinkt. Hailey ist zu Aidens zu Hause geworden.

»Ich dachte schon, wir schaffen es gar nicht mehr. Die Leute sind doch verrückt, ihn so zu belagern«, sagt Hailey, nachdem sie uns begrüßt hat. Aiden steht bei den Jungs an der Bar und hebt nur kurz die Hand zum Gruß in unsere Richtung. Die Security verschafft der Band die nötige Privatsphäre. In den letzten Monaten ist es fast unmöglich geworden, mit ihnen auch nur auf die Straße zu gehen. Wenn sie im Café sind, bricht die Hölle aus. Manchmal komme ich mir vor, als wäre ich im falschen Film. Wenn ich an Aiden und unsere gemeinsamen Schichten im Coffeeshop denke, kommt mir das hier wirklich surreal vor.

»Ich bin echt froh, dass James kein Rockstar ist und ihn all diese Frauen nicht anhimmeln«, sagt Grace.

Vielleicht gehört er nicht zur Band, was allerdings nicht bedeutet, dass er weniger angeschmachtet wird. James hat lediglich den Vorteil, dass er mit einem einzigen Blick die Leute einschüchtert und sie sich somit vom Leib hält.

Eine Weile beobachten wir das bunte Treiben und quatschen über alles Mögliche. Hailey hat in diesem Semester ihr Studium wieder aufgenommen. Ihre Beziehung zu Aiden bringt allerdings mit sich, dass auch ihr Bekanntheitsgrad um einiges gestiegen ist und sie ebenfalls ständig belagert wird. Meistens von Frauen, die näher an die Jungs herankommen wollen. Mein Blick wandert wieder zur Bar. Hailey und Grace sind völlig in ihr Gespräch vertieft und bemerken nicht einmal, dass ich mich ausgeklinkt habe.

»Okay, was habe ich verpasst?«, erklingt plötzlich Toms tiefe Stimme. Er lässt sich schwer auf die Couch plumpsen und wirkt leicht genervt.

»Das Übliche«, antworte ich und grinse ihn an.

»Also nichts«, schlussfolgert er und nimmt einen Schluck von seinem Cocktail.

»Wie war dein Date?«, frage ich ihn.

»Frag bloß nicht. Irgendwo da draußen muss es doch einen schwulen Mann geben, der kein völliger Idiot ist«, seufzt er.

»Vielleicht solltest du mal woanders auf die Jagd gehen oder deine Ansprüche herunterschrauben«, schlage ich ihm vor.

Er verdreht die Augen. »Das sagt ausgerechnet die Frau, die keine Dates hat.«

»Das liegt aber nicht daran, dass mir niemand gut genug ist«, schieße ich zurück.

»Nein, das liegt an Sky Montgomery, den du sabbernd anstarrst.«

»Ich starre ihn nicht sabbernd an!« Ich hätte Tom niemals von dem Kuss auf dem Campusfest erzählen dürfen. Damit habe ich ihm die beste Vorlage gegeben, mich immer wieder anzustacheln.

»Dann ist es dir auch völlig egal, dass er gerade mit einer anderen Rothaarigen durch die Hintertür verschwunden ist?«, grinst er mich schelmisch an.

Idiot.

»Ja, ist es!« Nein, ist es nicht.

»Weißt du eigentlich, dass dein rechter Mundwinkel zuckt, wenn du lügst?«

Genervt greife ich nach meinem Glas und trinke es in einem Zug aus. »Ich muss mal aufs Klo«, sage ich und entziehe mich somit dem Gespräch. Sky Montgomery ist nicht gerade das Thema, über das ich reden möchte. Es ist so schon kompliziert genug. Kleinmädchenphantasien machen es da nicht gerade besser. Ich bestreite gar nicht, dass er eine gewisse Anziehungskraft auf mich hat, und das von dem Moment an, als ich ihn das erste Mal im Coffeeshop gesehen habe. Er stand einfach nur da und hat mich angegrinst, während er auf Aiden gewartet hat. Auf meine Frage, warum er mich so ansieht, fragte er, ob ich rangehen würde, wenn er mich anruft. Ich habe 'Ja' gesagt und ihm meine Nummer gegeben. Sky hat mich nie angerufen. Dann habe ich Jase kennengelernt und das Thema war vom Tisch, bis zu dem Tag, als er mich einfach auf dem Campusfest geküsst hat.

 

 

Sky

 

»Oh, verdammt, Sky! Ja!«, stöhnt die Rothaarige, als ich meine Hand unter ihren Rock schiebe. Der Hinterhof von Eds Pub ist vielleicht nicht ganz gentlemanlike, aber ich habe einfach keinen Bock, sie mit nach Hause zu nehmen oder in ihrem Bett zu landen. Ich drücke sie fester gegen das Mauerwerk.

Eine schnelle Nummer, mehr nicht.

»Genau das will ich hören, Schätzchen!«, raune ich ihr zu, packe sie unter dem Po und hebe sie an, damit sie ihre Beine um mich schlingen kann. Red – wie ich sie in Gedanken getauft habe, weil ich sie nicht einmal nach ihrem Namen gefragt habe – versucht, mich zu küssen. Ich drehe den Kopf weg und sauge stattdessen an ihrem Hals.

Es ist schon erstaunlich, wie leicht sich manche Frauen aus einer Bar abschleppen lassen, damit man sie vögelt. Und das hat nichts mit unserem Erfolg zu tun, es war vorher auch schon keine Schwerstarbeit. Nett lächeln plus zwei Drinks gleich ein Fick. Eine ziemlich einfache Gleichung. Findet man darin seine Erfüllung? Wahrscheinlich nicht. Befriedigt es einen? Für den Augenblick auf jeden Fall.

Ihr Stöhnen ist wie Musik in meinen Ohren. Und für Musik bin ich immer zu haben. Rhythmisch versenke ich mich in ihr. Mit jedem Stoß wird sie lauter, schriller. Mein Name aus ihrem Mund klingt wie jeder x-beliebige. Kein Klang, keine Melodie. Nichts, was mich in einen Rausch versetzt. Sie ist nicht die Sirene, die singt.

Wie so oft in letzter Zeit stelle ich mir vor, dass die Frau, die sich an mich krallt, eine andere ist. Ich habe wirklich gedacht, dass ich über Amber Scott hinweg bin. Weit gefehlt, würde ich sagen. Seit ein paar Wochen ertappe ich mich immer wieder dabei, wie ich in ihre Richtung schaue, wenn sie in der Nähe ist. Also versuche ich, ihr noch konsequenter aus dem Weg zu gehen, als ich es ohnehin schon immer getan habe.

Seit Jase' Tod hat sich einiges verändert. Für uns alle. Für eine Weile hat jeder für sich selbst versucht, damit klarzukommen. Aiden hatte Hailey, Nate die Farm und Cole war gleich komplett abgetaucht. Amber hat sich bei ihren Eltern verkrochen und ich habe mich durch die Reha gequält, um überhaupt jemals wieder einen Drumstick in den Händen halten zu können. Mein rechter Arm war völlig hinüber gewesen. Jetzt erinnern nur noch die Narben und die Schrauben unter meiner Haut daran. Jase ist nicht mehr da und irgendwie ist er es doch. Sein Herz schlägt in Haileys Brust und seine Seele sitzt mir im Nacken und hebt ständig mahnend den Zeigefinger, wenn ich mal wieder über die Stränge schlage. Ich hasse diesen Kerl und ich vermisse ihn.

Red reißt mich mit einem kehligen Ton aus meinen Gedanken. Ich stoße fester zu, um dem Ganzen ein Ende zu machen. Sie ist nicht die Frau, die ich will. Egal wie oft ich auch versuche, es mir vorzustellen.

Die ersten Monate nach der Reha konnte ich Amber nicht einmal ansehen, ohne mich schuldig zu fühlen. Nicht, weil ich sie geküsst hatte, sondern weil ich ihn nicht retten konnte und sie daran fast zerbrochen ist. Mehr als einmal habe ich mir Gedanken darüber gemacht, ob sie sich fragt, warum ich nicht an seiner Stelle gestorben bin. Die Chancen haben schließlich 50:50 für jeden von uns gestanden. Ich bin noch hier, er nicht. Und ich weiß nicht, ob da oben nicht jemand die falsche Entscheidung getroffen hat.

Die Hintertür schwingt auf. Aus dem Augenwinkel nehme ich eine Bewegung wahr. Mein Kopf schießt herum.

Fuck!

Amber steht in der Tür und starrt mich an. Sofort stelle ich die Rothaarige wieder auf die Füße und weiche von ihr zurück. »Warum hörst du auf?«, haucht sie und will sich erneut an mich drängen. Amber fest im Blick, schiebe ich sie zur Seite und ziehe den Reißverschluss meiner Jeans hoch. Verdammt! In der Eile habe ich nicht einmal das Kondom entfernt. Hastig mache ich zwei Schritte auf Amber zu, aber sie wendet den Blick ab und verschwindet zurück in den Pub.

Shit! Was wollte sie überhaupt hier draußen?

»Willst du ihr etwa nachlaufen?«, ruft Red entsetzt, als ich die Hintertür aufreiße.

»Warte nicht auf mich«, antworte ich und eile in den Pub, aber Amber ist bereits in der Menge verschwunden. Sich ohne einen Aufpasser aus dem Staub zu machen, stellt sich jetzt als eine ziemlich dumme Idee heraus. Kaum setze ich einen Fuß in die Meute, werde ich belagert. Normalerweise mag ich diese Art von Aufmerksamkeit, aber im Augenblick beschäftigt mich nur die Frage, wo Amber ist. Dabei müsste ich ihr eigentlich nichts erklären, weil ich ihr keine Rechenschaft schuldig bin.

Ich verteile halbherzig ein paar Autogramme und lasse sie Selfies mit mir machen, während ich mich durch die Menge schiebe. Amber sitzt nicht in der Lounge bei den anderen. Wahrscheinlich hat sie direkt das Weite gesucht. Ich schlage mich bis zu den Toiletten durch, weil ich dringend das Latexteil in meiner Hose loswerden muss.

»Du bist ein Idiot, Montgomery«, sage ich zu meinem Spiegelbild. Der Typ neben mir, der sich gerade die Hände wäscht, sieht mich eigenartig von der Seite an. »Hast du irgendein Problem?«, fahre ich ihn an. Er verkneift sich einen Kommentar und verschwindet aus der Herrentoilette. Ich ziehe mein Handy aus der Hosentasche und rufe Ambers Kontakt auf. Was soll das werden?, frage ich mich in Gedanken selbst und verstaue das Telefon wieder.

Letztlich entdecke ich sie an der Bar, vor ihr 3 Shots und Caleb, der lässig neben ihr steht. Mir ist nicht entgangen, wie er immer wieder mit ihr zu flirten versucht, aber für gewöhnlich lässt sie ihn abblitzen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er gar kein wirkliches Interesse an ihr hat. Caleb will sie nur herausfordern und sehen, wie weit er bei ihr gehen kann.

Entschlossen dränge ich mich zwischen die beiden. »Können wir kurz reden?«

Fragend hebt sie eine Augenbraue. »Ich wüsste nicht, worüber wir beide reden sollten«, antwortet sie abfällig.

»Ich bin dann mal weg«, verabschiedet sich Caleb hinter mir. Ich sehe nicht einmal in seine Richtung. Mein Blick klebt an Ambers Mund, als sie einen der Shots an ihre Lippen führt und sich anschließend mit der Zungenspitze darüber leckt. Holy Shit! Bei dem Anblick schießen mir gerade ganz andere Dinge durch den Kopf und die beinhalten alle kein Gespräch zwischen uns. Hör auf, ihren Mund anzustarren, sagt die kleine Stimme in meinem Kopf, die eindeutig zu viel redet. Amber greift nach dem nächsten Glas. Bevor ich mir die Szene noch einmal ansehen und erneut auf die Herrentoilette verschwinden muss, nehme ich es ihr aus der Hand und kippe es selbst hinunter.

Tequila. Ich hasse das Zeug.

»Hey, spinnst du!?«, zischt sie.

»Können wir über das reden, was gerade im Hinterhof passiert ist?«, frage ich sie erneut.

»Warum, Sky?«, fragt sie.

Warum ich mit ihr darüber reden will oder, warum ich die Rothaarige gevögelt habe? Ich bin mir nicht sicher, worauf sich ihre Frage genau bezieht.

»Keine Ahnung. Vielleicht weil ich das Gefühl habe, es dir erklären zu müssen?«

»Du schuldest mir nichts. Du kannst tun und lassen, was du willst. Und wenn du der Meinung bist, es in Eds Hinterhof treiben zu wollen, dann nur zu.« Aus ihrem Mund klingt das echt nach einer schäbigen Nummer. Jetzt fühle ich mich richtig mies. Darauf fällt mir schlichtweg nichts ein, was ich sagen könnte. Amber rutscht von dem Barhocker und will mich einfach stehen lassen. Schnell greife ich nach ihrem Oberarm und halte sie zurück. Überrascht schaut sie auf die Stelle, wo meine Hand ihre nackte Haut berührt, dann sieht sie mir ins Gesicht. »Du hattest deine Chance, Sky Montgomery.«

Sanft ziehe ich sie näher zu mir heran. »Ach ja, hatte ich die?«, fordere ich sie heraus. Eine seltsam aufgeladene Spannung liegt in der Luft. Sofort werde ich fünfzehn Monate zurückkatapultiert und befinde mich auf dem Campusfest. Amber sieht mich mit einem Blick an, der genau zwei Möglichkeiten bietet. Erstens – sie verpasst mir eine Ohrfeige. Zweitens – sie küsst mich. Ersteres hätte ich mehr als verdient. Zweiteres würde uns allerdings direkt in ein Desaster befördern.

»Ja! Und jetzt rück mir von der Pelle, du stinkst nach billigem Parfüm«, zischt sie und versucht sich von mir loszureißen. Schlagartig ziehe ich meine Hand zurück und Amber verschwindet in Richtung Lounge.

Ich bleibe an der Bar stehen und bestelle mir einen doppelten Whiskey. »Lass mich raten, du hast Mist gebaut?«, fragt Aiden, der plötzlich neben mir auftaucht und die Szene offensichtlich beobachtet hat.

»Das kommt darauf an, aus welchem Blickwinkel man es betrachtet«, antworte ich und nehme einen großen Schluck Bourbon.

»Aus meinem Blickwinkel betrachtet, bist du knapp an einer Ohrfeige vorbeigerauscht.«

»Whiskey?«, frage ich und gebe dem Barkeeper ein Zeichen, dass er uns noch zwei Gläser bringen soll.

»Möchtest du darüber reden?«, fragt er mich.

»Seitdem du mit Hailey zusammen bist, willst du ständig reden. Ich vermisse die Zeiten, in denen wir uns einfach schweigend die Kante gegeben haben.«

Aiden lacht. »Da ist was dran. Hat es was mit der Rothaarigen zu tun, mit der du durch die Hintertür geschlichen bist?«

Und ich dachte, es hat keiner mitbekommen. Aber ich hätte es wissen müssen, man ist nie unbeobachtet. »Was hat sie überhaupt im Hinterhof gewollt?«, frage ich mehr mich selbst, als ihn.

»Wer?«, fragt er und mustert mich irritiert.

»Na, Amber.«

»Sag bloß, sie hat dich beim Fummeln erwischt«, lacht er.

»Ich wünschte, es wäre nur das gewesen«, stoße ich frustriert aus.

Aiden reißt überrascht die Augen auf und schüttelt schließlich lachend den Kopf. »Verdammt! Amber hat dich beim Schäferstündchen ertappt.«

»Geht's noch etwas lauter?«, ermahne ich ihn.

Toll! Er bekommt sich vor Lachen kaum wieder ein. »Sorry, aber du bist wirklich am Arsch, wie man so schön sagt.« Wieder fängt er zu feixen an.

»Haha, ich lache später, okay?« Ich nehme mein Glas und kämpfe mich zur Lounge durch.

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Seit zehn Minuten sitze ich Amber gegenüber und sie hat genau einmal angewidert in meine Richtung geschaut. Sie unterhält sich mit Grace, aber ich verstehe kein einziges Wort. Wahrscheinlich erzählt sie ihr gerade alles brühwarm und ich kann mich schon mal auf eine Standpauke von Grace gefasst machen. Denn sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Wogen zwischen Amber und mir glätten zu wollen. Dabei gibt es da eigentlich nichts, was geradegebogen werden muss. Unser Verhältnis zueinander war nie anders, als es jetzt ist. Okay, abgesehen von der Sache auf dem Campusfest. Ein kurzer Moment der Schwäche. Einen Tag später saß sie wieder auf Jase' Schoß, als wäre nichts passiert. Nicht, dass ich etwas anderes erwartet habe. Er ist eindeutig die bessere Wahl gewesen.

Als Grace mir einen bösen Blick zuwirft, stehe ich genervt auf. Amber hat recht, ich bin ihr nichts schuldig und im Grunde habe ich auch keinen Fehler gemacht. Ich bin Single und kann verdammt noch mal flachlegen, wen ich will.

»Ich haue ab«, sage ich in die Runde und verlasse die Lounge. Auf dem Weg nach draußen rufe ich mir ein Taxi. Ich könnte mich auch von einem der Leibwächter fahren lassen, aber ich kann es nicht ausstehen, dass sie mir so im Nacken hängen. So oft es geht, versuche ich, ihnen zu entwischen, um mal durchzuatmen. Ich bin nicht undankbar für den Erfolg. Im Gegenteil, es ist genau das, was ich will. Die Jungs, die Musik, die Fans und die Frauen. 

»Hast du ein Taxi gerufen?«, reißt mich der Fahrer aus meinen Gedanken.

»Ja«, sage ich und steige hinten ein.

»Wo soll es hingehen?«, fragt er. Nachdem ich ihm meine Adresse genannt habe, stellt er das Taxameter ein und fährt los. Er wirft einen Blick in den Rückspiegel.

»Du siehst aus, als wärst du unter die Räder gekommen«, stellt er fest.

»Eine Rothaarige trifft es eher«, seufze ich und lasse mich tief ins Polster sinken.

»Willst du darüber reden?«

Ernsthaft?! Glaubt er wirklich, dass ich mein Privatleben auf der Rücksitzbank eines Taxis ausbreite? Ganz sicher nicht.